Wissenschaft ist die Kunst, passende Illusionen zu erzeugen, die Narren entweder glauben oder dagegen argumentieren. Ein weiser Mensch erfreut sich dagegen an ihrer Schönheit oder ihrem Scharfsinn, ohne jedoch die Augen gegenüber der Tatsache zu verschließen, daß all diese Erklärungen menschliche Schleier und Vorhänge sind, die die abgründige Dunkelheit des Unergründlichen verdecken sollen.

Carl Gustav Jung


Das senkrechte Weltbild
Symbolisches Denken in
astrologischen Urprinzipien

Thorwald Dethlefsen*

Die Königin der Wissenschafen - so nannte man in früheren Zeiten einmal die Astrologie - und sie ist Königin geblieben, auch wenn sie nun schon etliche Zeit im Exil verbringen mußte. Die neuen, selbst-ernannten Könige haben große Angst vor ihrer Rückkehr und sparen deshalb nicht mit Beschimpfung, Fluch und Spott - doch auch solches Treiben ist letztlich nur Zeichen der Hochachtung und Verehrung, wenn auch in pervertierter Form; zeigt doch so viel Aggression etwas von der wahren Angst, die man vor der Königin Astrologie hat.

Zur Zeit wächst nun wieder die Zahl derer, die die Rückkehr der Astrologie aus dem Exil vorbereiten und - zum Glück - sind es zur Zeit nicht die "Dummen im Lande", welche die Renaissance der Astrologie vorbereiten - ganz im Gegenteil, es sind die Mutigen, welche sich aus den Denkklischees unseres sich "wissenschaftlich" nennenden Zeitalters befreien und es wagen, selbst zu denken. Jene Mutigen entdecken dann, daß der Astrologie zwar ein anderes Denksystem zugrunde liegt als der Wissenschaft, daß aber "anderes Denken" nicht zwingend gleichzusetzen ist mit "falschem Denken".

Alle Weltbilder sind Bilder von der Welt - also menschliche Versuche, die unfaßbare Wirklichkeit und Wahrheit gleichnishaft abzubilden. Für dieses Unternehmen gibt es viele Möglichkeiten. Sie sind alle legitim - solange man sich bewußt bleibt, daß das Bild eben nur ein Bild ist, daß sich der Mensch in seiner - nicht zu vermeidenden - Subjektivität macht. Alles Sichtbare ist nur ein Gleichnis und jede Form drückt einen Inhalt aus. Ist man sich dessen bewußt, so werden die Bilder Brücken zur Wirklichkeit, sie werden zum Symbolon (griechisch: symbalein = zusammenwerfen), das uns in Verbindung bringen kann mit dem, was uns zur Ganzheit fehlt: mit dem Numinosen, dem Metaphysischen, dem Wirklichen.

Doch unser wissenschaftliches Zeitalter ist krank, es ist unheil, da es zu glauben anfing, daß die Bilder, die man von der Welt entwarf, bereits die Wirklichkeit selbst sind. Die Wissenschaft blieb in den Formen stecken und erklärte sie zur Wirklichkeit. Man beraubte die Formen ihrer Bedeutung - und die Welt sank in die Bedeutungslosigkeit; Formen ohne Sinn sind sinnlos. Die formale, materielle Welt wurde zum Selbstzweck - man glaubt, ohne das Numinose, das Metaphysische, ohne das "Göttliche" leben zu können. Hier liegt der Fehler: vegetieren vielleicht, leben nicht. Denn Leben bezieht seinen Wert aus dem Sinn - und dieser liegt außerhalb bloßer Formen, Funktionen oder Fort-schrittsideologien.

Die Unmöglichkeit, den Menschen über funktionale (sprich: soziale) Maßnahmen zu erlösen, ist seit längerer Zeit sichtbar, auch wenn noch viele, ihrer Angst folgend, dieses brüchige Konzept lautstark der Menschheit weiterhin verkaufen wollen. Die Seelen sind hungrig, sie sehnen sich nach echten Bildern, die als Symbolon dienen können, um Welt und Leben wieder begreifen zu lernen. Da mögen die unverbesserlichen Rationalisten staunen und verzweifelt die Hände ringen. Es nützt nichts, das Pendel der Geistesgeschichte schlägt nun wieder in die andere Richtung aus - dem Gesetz des Wandels folgend. In dieser Entwicklung rehabilitiert man nun altehrwürdige Systeme, die unsere moderne Zeit in ihrer Arroganz so voreilig als abergläubischen Unfug wegwerfen zu müssen glaubte.

Die Astrologie ist eines dieser großartigen Systeme der Vergangenheit. Sie hat es nicht nötig, von der Wissenschaft "anerkannt" zu werden, sondern kann dank ihrer Souveränität abwarten, bis die funktionalen Weltbilder abdanken. Unsere Welt und unsere Zeit braucht wenig so nötig wie die Astrologie - nicht, um die Zukunkt zu prognostizieren, Unglück zu verhindern oder um Schicksal zu manipulieren, sondern sie braucht die Bilder und Symbole, um wieder mit der Wirklichkeit in Kontakt treten zu können. Die Astrologie ist die Lehre von den archetypischen Urprinzipien. Sie beschreibt - ähnlich dem chinesischen Weisheitsbuch IGing - die wirkenden Seins-Prinzipien dieses Universums. Die Beschäftigung mit Astrologie lehrt, die Inhalte und Bedeutungen "sehen" zu lernen, die an den Formen haften, selbst jedoch jenseits der Formen existieren. Astrologie läßt erkennen, wie sich die "Wirklichkeiten" (Plato nennt sie die "Ideen", Jung die "Archetypen") in den Formen ausdrücken und aus-kristallisieren. Unter diesem Blickwinkel wird dann aber jede Form zum Ausdruck und damit Welt zum Gleichnis. Um den Weg von der Form zum Inhalt zu finden, müssen wir deuten - und nur dadurch wird dann Welt "bedeutungs-voll", denn nicht gedeutete Welt bleibt bedeutungslos.

Eine solche Begegnung mit der Welt setzt aber ein anderes "Sehen" voraus, als wir es gewöhnlich gelernt haben. Das Sehen muß zum Betrachten werden im wörtlichen Sinn - denn betrachten heißt: trächtig machen. Diese andere Art des Sehens und des Denkens nennen wir auch das "senkrechte Denken", denn es folgt dem Gesetz der Analogie. Analogie beschreibt einen nicht-kausalen Zusammenhang, einen Zusammen-hang, der nicht dem linearen Wirkprinzip von Ursache und Wirkung folgt, sondern der eine "Immer-wenn-dann"- Beziehung formuliert, die man auch Synchronizität (C.G. Jung) nennen kann. Wissenschaftliches Denken ist linear-kausal und bewegt sich dadurch nur innerhalb von definierten Ebenen oder Schichten der formalen Realität - deshalb sprechen wir hier vom "waagrechten Denken". Das senkrechte Denken der Analogie steht diesem Denken polar gegenüber - es ist für unsere Zeit ungewohnt, wir müssen es erst wieder neu verstehen und lernen.

* aus dem Vorwort zur gleichnamigen Buch, im Januar 1986 (siehe "Bücher")

 

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