Ich bin eine grüne Anarchistin

1976 eröffnet sie im englischen Seebad Brighton einen kleinen Laden für Naturkosmetik. - 1986 wird sie Unternehmerin des Jahres.

Die inzwischen weltweit vertretene Body Shop- Kette macht mit ihren 600 Geschäften jedes Jahr ein Umsatzplus von 100 Prozent!

Dennoch: Wichtiger als der Profit ist Anita Roddick ihre Ganzheits-Philosophie. Einen caring capitalism will sie etablieren, einen, der Gewinn und soziale Verantwortung miteinander verbindet.

Ganz schön irritiert blickt die Queen auf die junge Frau mit dem Wuschelkopf, als diese nach vorn tritt, um den OBE (order of the British Empire) entgegenzunehmen. Das Foto der Dame ohne Hut, die es gewagt hatte, in einem derart obszönen Aufzug vor ihrer Majestät zu erscheinen, zierte das Cover vieler britischer Gazetten.

"Den Hut hatte ich einfach vergessen", bekennt Anita Roddick ohne Umschweife. "Diese Äußerlichkeiten finde ich auch völlig unwichtig." Um Konventionen hat sie sich allem Anschein nach noch nie gekümmert. "Eigentlich bin ich ja eine grüne Anarchistin", versichert die Mutter zweier Töchter.

Nach ihrem Erfolgsgeheimnis befragt, reagiert sie genervt. Das Thema wird langsam spröde. "Wir hätten normalerweise nicht überleben dürfen, weil wir alles falsch gemacht haben. Wahrscheinlich hatten wir nur Erfolg, weil wir kein Geld hatten."

Wie bitte? Nach der Ladeneröffnung fehlte das nötige Kleingeld, um die Kosmetikartikel ansprechend verpacken zu können. Also blieb nur der Griff zu Urinflaschen. "Die waren einfach die billigsten." Das war aber nicht alles. Einige ihrer Produkte sahen derart merkwürdig aus, daß sich Anita entschloß, auf kleinen Merktafeln zu erläutern, worum es sich bei diesen Tinkturen handelte. "Das Heenah-Shampoo konnte man glatt für Pferdeäpfel halten, und im Massageöl schwammen noch einige Salatblätter, ganz schön disgusting."

Als Unternehmer ist man Träumer und Macher. Ich habe meine Ganzheitsphilosophie entwickelt, die ich realisieren will. Wir haben eine Abteilung für Umweltschutz; wir eröffnen in diesem Jahr zehn neue Geschäfte in den USA; wir arbeiten daran, ein eigenes Fernsehprogramm zu entwickeln; wir produzieren unsere Videoprogramme, um Mitarbeiter zu schulen; wir bereiten gerade...."

Das läuft so weiter ohne Punkt und Komma. Man glaubt ihr gern, daß sie niemals eine Pause einlegt.

In der Zentrale in Littlehampton hängt ein kleines Schild, auf dem zu lesen ist: Body Shop vertritt eine Ganzheitsphilosophie. Die Rettung der Wale, der Schutz der Wälder müssen Hand in Hand gehen mit der Verhinderung von Verschwendung und der Sanierung von Stadtkernen, wenn eine gesunde Symbiose des Menschen und seiner Umwelt erzielt werden soll."

"Wir haben das Wort Schönheit aus unserem Vokabular gestrichen", erregt sich die Kosmetik-Produzentin. "Unserer Vorstellung von Schönheit kommt Mutter Teresa oder Bob Geldorf am nächsten."

"Wir machen den üblichen Betrug der Kosmetikbranche einfach nicht mit. Wir versprechen keine Jung- und Gesundbrunnen. Wir verkaufen nicht das ewig blühende Leben. Unsere Artikel sind denkbar einfache Produkte, wie sie viele Naturvölker schon seit Jahrhunderten benutzen. Die basieren auf rein pflanzlichen Wirkstoffen."

Natürlich sind Aerosole in Body Shops verpönt. Statt dessen wird über das Ozonloch aufgeklärt. Konservierungsstoffe werden nicht verwendet, die Verpackung auf ein Minimum beschränkt. In einem Wort, Mrs. Roddick ist eine Puristin, und sie kann sich sehr erregen, wenn die Sprache auf jene Designer kommt, die bei anderen Kosmetikfirmen wirken. "Da zahlt der Kunde doch hauptsächlich für eine verschwenderische, sinnlose Verpackung, die eh gleich weggeworfen wird! Das machen wir nicht mit."

Anita Roddick verstößt gegen sämtliche Gesetze der Kosmetikbranche. "Ich sage einfach die Wahrheit, das kapieren die anderen Firmen nie!" Sie macht auch aus Prinzip keine Werbung. "Die beste Werbung ist ein ehrliches Produkt."

"Wir hatten am Anfang kein Geld, das war unser Glück." Punkt. Als sich in Brighton nämlich der Erfolg abzeichnete, hätten Anita und Ehemann Gordon am liebsten gleich einen Haufen Läden dazugekauft. Ging aber nicht, mangels Masse. "Also schlug Gordon einfach vor, ein Franchise System, so ähnlich wie bei McDonalds, aufzuziehen. Interessenten standen bei uns ja gleich auf der Matte ..."

Gordon, das merkt der Besucher rasch, ist der Praktiker, der hinter der Szene arbeitet und darauf achtet, daß die Kasse stimmt. Anita ist der ideensprühende Kopf, die treibende Kraft, ein Power-House, das nie zur Ruhe kommt. Gordon, der Schotte, ist der ruhende Pol, der weiß, wo es mit Geschäftspartnern langgeht. Und der sich auch mit Bank-Managern auskennt...

Anita Roddick ist mit Hans Magnus Enzensberger der Meinung, daß der Verbraucher gar nicht so dumm ist, wie viele meinen.

Es muß wohl zu ihrem Erfolgsrezept gehören, daß sie ihre Body Shop-Philosophie nicht etwa wortreich vor sich herträgt, sondern konsequent vertritt. Tierversuche und Probleme der dritten Welt, alles ist für die Grüne Unternehmerin von entscheidender Bedeutung.

"Daß sich alle unsere Zulieferer verpflichten müssen, keine Tierversuche durchzuführen, ist doch selbstverständlich", erklärt Frau Roddick.


Ein wichtiger Schlüsselslogan für das Verständnis der Body Shop-Philosophie lautet: TRADE NOT AID.

Will heißen: Die ehemalige Mitarbeiterin der UNO, die jahrelang in den Ländern der Dritten Welt herumreiste, um sich in Indien und Äthiopien für die Rechte der Frauen einzusetzen, hat die Nase voll vom herkömmlichen Entwicklungshilfe-programm, das nach ihrer Meinung auf eine wahllose Verteilung von Almosen und eine neue Abhängigkeit hinausläuft.

Hilfe zur Selbsthilfe ist für Anita Roddick kein leerer Spruch: In Indien hat sie selbst ein kleines Dorf gebaut, in dem Kinder mit der Produktion sogenannter "Footsie Roller", also Holzrollen für die Fußmassage, beschäftigt sind.

In dieser "Boys Town" in Südindien werden pro Jahr 100.000 dieser Rollen produziert. Das bringt dem Dorf genau 100.000 Pfund Reingewinn. Konkrete Hilfe also, die realisieren will, was eines der wichtigsten Ziele der sozialkapitalistischen Unternehmerin ist: "Profit machen und Ver-antwortung tragen für die Gemeinschaft, das darf kein Widerspruch sein. Ich will zeigen, daß Business auch moralisch einwandfrei funktionieren kann. Wir praktizieren eben den "caring capitalism".

Diese sozialrevolutionäre Antwort auf Tory-Rigorismus und Scheuklappen-Sozialismus gleichermassen ruft natürlich Zyniker auf den Plan, die laut ausrechnen, wie hoch die Profitmarge des Body Shops bei der Produktion in der Dritten Welt tatsächlich ist. Aber sie werden ganz kleinlaut, wenn sie hören, wie die Roddick vorgeht:

"Ich erkundige mich nach den Herstellungspreisen hier in England und vergebe dann einige Aufträge nach Asien. Dort bezahle ich dann etwa für Jutesäcke in Pakistan dieselben Preise wie hier in England - das verblüfft natürlich alle."

Ausgesprochen wütend wird die Erfolgreiche, wenn sie merkt, daß das System sie vereinnahmen will. Als ihre Aktien in überirdische Höhen abdrifteten, machte das Wort von "Maggie´s children" die Runde. Während des wilden Bergarbeiterstreiks brauchte Frau Thatcher dringend eine success-story, da kam der Eisernen Lady die Body Shop-Lady gerade recht. "Was für ein Quatsch", empört sich Anita, "wir sind doch nicht bloody Maggie´s children - wir machen unser eigenes Ding!"


(Artikel gekürzt aus der Zeitschrift "Winners" 4/88)

 

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